Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Das lernen Sie in diesem Blogeintrag:
- Beschreibung der allgemeinen Funktionsweise kalter Nahwärme
- Hinweise zur hydraulischen Dimensionierung
- Auslegungswerte für Wärmegewinne von Rohrleitungen und Wärmequellen
- Möglichkeiten zur Simulation kalter Nahwärmenetze
- Randbedingungen zur Förderung kalter Nahwärme
Kalte Nahwärme (KNW) hat sich in den vergangenen zehn Jahren von einer Forschungsidee zu einer ausgereiften Infrastrukturlösung entwickelt, die in immer mehr Stadtquartieren geplant oder bereits umgesetzt wird. Ihr Prinzip ist ebenso einfach wie wirkungsvoll: Anstelle von heißer Fernwärme mit 70–120 °C zirkuliert eine Sole-Wasser-Mischung auf dem natürlichen Erdreichtemperaturniveau von etwa -5°C bis 25 °C. Wärmepumpen in den angeschlossenen Gebäuden heben das Temperaturniveau bedarfsgerecht. Das vermeidet Verteilverluste, ermöglicht bidirektionale Energieflüsse (Heizen und Kühlen im selben Netz) und schafft langfristig stabile, fossilfreie Wärme- und Kältepreise für die Bewohner.
Während klassische Fernwärme- bzw. Nahwärmenetze wegen besser gedämmter Gebäude immer höhere Leitungsverluste erleiden – in Gebieten mit niedriger Energiedichte ca. 30-40 % – kehrt Kalte Nahwärme diesen Nachteil dank der niedrigen Netztemperaturen in einen Vorteil um: Die Rohre können ungedämmt verlegt werden, ziehen sogar Umgebungswärme nach, und machen damit das Netz selbst zum saisonalen Zwischenspeicher.



© Stadtwerke Bad Nauheim
Zentrale Komponenten der kalten Nahwärme
1. Wärmequellen und -senken
Die Energieversorgung eines Kalte Nahwärme Netz-Systems erfolgt durch verschiedene Umweltwärmequellen, die je nach Standort und Platzverhältnissen ausgewählt und kombiniert werden können:
- Flächenkollektoren werden horizontal in 1,5 bis 3 Metern Tiefe verlegt. Sie nutzen die ganzjährige Regeneration des Erdreichs durch Sonneneinstrahlung und Niederschläge. Diese Kollektoren sind besonders geeignet für Neubaugebiete mit ausreichender Freifläche wie Parks, Gärten oder Randzonen von Siedlungen.
- Erdwärmesondenfelder bohren vertikal 50 bis 200 Meter tief in den Untergrund. Sie erschließen über viele Jahre hinweg konstante geothermische Temperaturen. Aufgrund ihrer geringen Flächenbeanspruchung eignen sich Sondenfelder besonders für innerstädtische Gebiete mit begrenztem Platzangebot.
- Wärmetauscher für Grund-, Fluss- oder Abwasser sowie industrielle Abwärmequellen (z. B. aus Rechenzentren, Kläranlagen oder Gewerbebetrieben) ergänzen das System durch zusätzliche nutzbare Umweltenergie. Sie ermöglichen die Einbindung vorhandener Infrastruktur zur thermischen Nutzung bisher ungenutzter Energiepotenziale.
2. Das ungedämmte Soleleitungsnetz
Das Rückgrat jedes Kalte Nahwärme Netz-Systems bildet ein ungedämmtes Leitungsnetz, durch das eine Sole als Wärmeträger zirkuliert. Typisch sind Kunststoffrohre aus PE100-RC oder PE-Xa, die besonders widerstandsfähig gegen mechanische Belastungen und Spannungsrisse sind.
Die Rohre werden in einem gemeinsamen Grabensystem (Vorlauf und Rücklauf nebeneinander) in einer Tiefe von etwa 1 bis 2 Metern verlegt. Aufgrund der niedrigen Netztemperaturen (nahe Umgebungstemperatur) sind keine Wärmedämmungen erforderlich. Die Leitungssysteme sind robust, langlebig und kosteneffizient in der Verlegung – auch im Vergleich zur klassischen Fernwärme.
3. Bidirektionaler Betrieb und saisonale Speicherung
Ein herausragendes Merkmal von kalte Nahwärme-Systemen ist ihre bidirektionale Funktionsweise: Jedes angeschlossene Gebäude agiert nicht nur als Verbraucher, sondern auch als potenzieller Einspeiser – ein sogenannter Prosumer.
Im Winter entzieht die Wärmepumpe des Gebäudes dem Netz thermische Energie, um Heizung und Warmwasser bereitzustellen. Im Sommer kann die Wärmepumpe – oder ein zusätzlich integrierter Wärmetauscher – zur passiven oder aktiven Kühlung genutzt werden. Dabei wird überschüssige Wärmeenergie aus dem Gebäude an das Netz abgegeben.
Die Erdreichmatrix, die das Leitungssystem umgibt, übernimmt hierbei die Funktion eines saisonalen Speichers. Sie puffert die im Sommer eingespeiste Wärme und stellt sie im Winter wieder zur Verfügung. Umgekehrt kann gespeicherte „Kälte“ zur Reduktion von Hitzespitzen im Sommer beitragen. Durch diese saisonale Ausgleichswirkung können Jahresarbeitszahlen (JAZ) von über 4 bis 5 erreicht werden – deutlich höher als bei klassischen Wärmepumpensystemen ohne saisonale Speicherung.
4. Gebäudeinterne Anlagentechnik
In jedem angeschlossenen Gebäude befindet sich eine Wärmepumpe, die das Temperaturniveau an den jeweiligen Bedarf anpasst. Sie erzeugt eine Vorlauftemperatur von etwa 30 bis 35 °C für Flächenheizsysteme (wie Fußboden- oder Wandheizungen) und kann zusätzlich Trinkwasser auf bis zu 60 °C erwärmen.
Ein besonderer Vorteil von kalte Nahwärme ist die Möglichkeit der freien Kühlung: An heißen Tagen kann die kühle Sole (zwischen 10 und 20 °C) direkt über einen Bypass-Plattenwärmetauscher durch das Gebäude geleitet werden. Die Kühlung erfolgt dabei ohne Einsatz des stromintensiven Verdichters der Wärmepumpe. Stattdessen wird nur eine hocheffiziente Umwälzpumpe betrieben, deren Stromverbrauch bei unter 100 Watt pro Wohneinheit liegt. Diese einfache, kostengünstige Kühlung erhöht den Wohnkomfort erheblich – bei gleichzeitig minimalem Energieeinsatz.
Besonderheiten bei der Hydraulik kalter Nahwärmenetze
Generell lassen sich zwei Arten von Hydraulikkonzepten von kalten Nahwärme-Netzen unterscheiden: sogenannte passive kalte Nahwärmenetze in denen die Umwälzpumpen in den Wärmepumpen zur Zirkulation ausreichen und aktive kalte Nahwärmenetze in denen eine zentrale Umwälzpumpe benötigt wird.
Passives Netz für kleine Quartiere
Kleinere Netze, i.d.R. Neubaugebiete bis ca. 40 Gebäude können als passives Netz ausgeführt werden. Dabei wird das Netz so dimensioniert, dass die Druckverluste in Netz und Quelle von jeder der dezentralen Umwälzpumpen überwunden werden können. Typische Förderhöhen dieser Sole-Umwälzpumpen liegen bei 0.6 – 0.7 bar. Bei diesen Werten ist der Druckverlust des Wärmetauschers bereits berücksichtigt (muss also nicht mehr überwunden werden), weshalb man auch von „freier Pressung“ spricht. Zudem ist bei passiven Netzen darauf zu achten, dass Rückschlagklappen vor jeder Wärmepumpe eingebaut werden. Dies verhindert die ungewollte Durchströmung einer Wärmepumpe in die Gegenrichtung.
Aktives Netz bei höheren Druckverlusten
Größere Netze werden oft als aktives Netz, das heißt mit zentraler Umwälzpumpe ausgeführt. Umwälzpumpen in den Wärmepumpen werden dann nicht benötigt. Stattdessen werden in den Gebäuden motorbetrieben Klappen verbaut, welche sich nur öffnen, wenn die jeweilige Wärmepumpe in Betrieb geht. Zudem werden Strangregulierventile bzw. Volumenstrombegrenzer benötigt, um eine gleichmäßige Durchströmung aller Wärmepumpen zu sicherzustellen. Die zentrale Umwälzpumpe ist in der Regel in einer eigenen Energiezentrale untergebracht, zusammen mit einer zentralen Einrichtung für die Druckhaltung. Typische Förderhöhen einer zentralen Umwälzpumpe liegen bei 0.8 bis 1.2 bar. Das Rohrnetz wird dabei auf ca. 100 Pa/m dimensioniert.
Achtung: Ein kritischer Punkt ist auch bei aktiven Netzen die korrekte hydraulische Auslegung des Systems! Aufgrund der sehr geringen Spreizung von 3-4 K und der hohen Volumenströme kann eine unbedacht gewählte Komponente sehr hohe Druckverluste verursachen und so den Pumpenstrom in die Höhe treiben. In ungünstig dimensionierten Netzen haben Messungen ein Verhältnis von bis zu 20 % Pumpenstrom am Wärmepumpenstrom gezeigt. Dies kann zu sehr geringen Jahresarbeitszahlen von nur 3.5 führen.
Anwendungsbeispiele erfolgreicher kalte Nahwärme Projekte
Projekt | Eckdaten | Besonderheiten |
Bad Nauheim-Süd | 400 WE 6,5 km Netz 2 Lagen 10.000 m² Erdwärmekollektoren | Deckung 50 % aus Kollektoren, 50 % aus Wärmegewinnen des Netzes |
Hüttengelände Neustadt aam Rübenberge | 200 WE + Kita + Gewerbe, 1 km Netz 15.000 m² Erdwärmekollektoren | Früher Hüttengelände / Industriebrache |
Soester Norden | 600 WE 7,3 km Netz 23.000 m² Erdwärmekollektoren | Größtes kaltes Nahwärmenetz mit größten Erdwärmekollektor Deutschlands |
Lagarde Campus Bamberg | Große MFH mit 8.500 MWh Gesamtwärmebedarf 5 km Netz Erdwärmekollektoren, Erdwärmesonden, Abwasserwärmetauscher | Innerstädtisches Gebiet mit innovativer Kombination verschiedener Wärmequellen |
Bilanzen aus Monitoringberichten (2020–2024) zeigen Jahresarbeitszahlen von 4,5 bis 5,0 für Heizen und 20 bis 40 (!) für passive Kühlung – ein Indikator, dass praktisch nur Umwälzstrom verbraucht wird.
Typische Auslegungswerte von Systemkomponenten
Für die Auslegung und Berechnung der einzelnen Komponenten, insbesondere der jeweiligen Wärmegewinne können sowohl Richtlinien – etwa VDI 4640-2 – verwendet werden, als auch eigene Simulationsrechnungen.
Komponente | Typische Dimensionierung | Bemerkungen |
Flächenkollektor | 60 – 70 kWh/m²a für 1-lagige Kollektoren 80 – 100 kWh/m²a für 2-lagige Kollektoren | Bedarf an öffentl. Grün- oder Verkehrsflächen Regeneriert allein durch Umweltwärme |
Erdsondenfeld | 30–60 W/m Entzugsleistung bei 1800 bis 2200 Vollastunden | Genehmigung nach Wasserrecht nötig |
Netz-Rohre (PE100-RC) | DN 40–400, Auslegung mit 70-100 Pa/m Druckverlust | Ungedämmt, Frostgefahr vernachlässigbar |
Wärmegewinne Rohrnetz | 50 – 120 kWh/(m*a) je Trassenmeter (VL+RL) des Netzes | Abhängig von der Temperatur der Wärmequelle (Sonden/Kollektoren) |
Sole | 20–30 Vol-% Monoethylenglykol | Frostschutz bis ca. -10 … –15 °C |
Software zu Planung und Simulation kalter Nahwärmenetze
Wie die vorangegangenen Kapitel gezeigt haben, existieren zahlreiche Herausforderungen bei der Planung kalter Nahwärmenetze. Zum einen sollte die Hydraulik genau geplant werden, zum anderen sollten die Wärmequellen sinnvoll dimensioniert sein. Hoher Pumpenenergiebedarf oder überdimensionierte Kollektorfelder können schnell die Wirtschaftlichkeit des Systems an die Grenze bringen. Durch die Planung und Simulation kalter Nahwärmenetze mit geeigneter Software, wie VICUS Districts, lassen sich diese Risiken umgehen.
Mit VICUS Districts können sowohl konventionelle als auch kalte Nahwärmenetze schnell und einfach geplant und simuliert werden. Dies beinhaltet die Rohrdimensionierung und Pumpendimensionierung sowie die Simulation passiver und aktiver hydraulischer Netze mit verschiedenen Wärmequellen. Mit dem besonders genauen und wissenschaftlich validierten numerischen Rechenkern lassen sich außerdem die Wärmegewinne von Erdwärmekollektoren und vom Rohrnetz genau berechnen. Das schafft Sicherheit bei der Planung und spart unnötige Investitionskosten.
Einige Besonderheiten von VICUS Districts:
- Einfaches Erstellen und Dimensionieren kalter Nahwärmenetze und Pumpen
- Flexibler Import von PDF oder DXF-Plänen und Nutzung von OpenStreetMaps
- Realistische Simulation passiver und aktiver kalter Nahwärmenetze und Bewertung des Pumpenstrombedarfs
- Detaillierte Erdreichsimulation für Rohrnetz und Erdwärmequellen

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Wirtschaftlichkeit und Förderung von kalter Nahwärme
Eine attraktive Möglichkeit zur Förderung bietet das Programm Bundesförderung effiziente Wärmenetze (BEW) der BAFA. Damit lassen sich 50 % der Planungskosten und 40 % der Investitionskosten fördern.
Förderfähig:
- Transformationspläne, Machbarkeitsstudien, inkl. Planungsleistungen HOAI LPH 1-8
- Investitionskosten für Wärmenetz und Wärmequellen
Anforderungen
- Mehr als 16 Gebäude oder mehr als 101 Wohneinheiten
- min. 75 % erneuerbare Energien und Abwärme
- max. 95 °C Vorlauftemperatur
Umfang
- Nicht rückzahlbarer Zuschuss von 50 % der förderfähigen Kosten (Max. Fördersumme 2 Mio €) bei der Planung
- 40 % der förderfähigen Kosten (Max. 100 Mio €) bei der Umsetzung
Fazit
Kalte Nahwärme verwandelt das Erdreich in einen gigantischen, kostenlosen Pufferspeicher und verknüpft Gebäude zu einem kooperativen, bidirektionalen Wärme- und Kältenetz. Sie eliminiert Leitungsverluste, senkt CO₂-Emissionen massiv und schützt Kommunen wie Verbraucher vor fossilen Kostenrisiken. Erfolgreiche Pilotquartiere in Deutschland und den Niederlanden belegen die technische Reife, während staatliche Förderprogramme wirtschaftliche Hürden abbauen.
Damit ist Kalte Nahwärme nicht nur eine theoretische Vision, sondern bereits heute ein tragfähiger Baustein für klimaneutrale Stadtquartiere – bereit für den Roll-out in die Fläche, sobald Kommunen, Versorger und Bauherren den Schritt wagen.
Mit moderner Planungs- und Simulationssoftware lassen sich kalte Nahwärme-Netze einfach und sicher planen. Durch die Anwendung von Simulationen in der Planung können dabei erheblich Investitionskosten gespart werden, da das Wärmenetz und die Quelle sicher und passend dimensioniert werden.
Quellen
- https://www.researchgate.net/publication/370769566_Abschlussbericht_ErdEis_II_-_Erdeisspeicher_und_oberflachennaheste_Geothermie
- https://tud.qucosa.de/landing-page/?tx_dlf[id]=https%3A%2F%2Ftud.qucosa.de%2Fapi%2Fqucosa%253A94569%2Fmets
- https://www.mdpi.com/2071-1050/13/11/6035
- https://geo-multisource.de
- https://www.bafa.de/DE/Energie/Energieeffizienz/Waermenetze/Effiziente_Waermenetze/effiziente_waermenetze_node.html
- https://www.stadtwerke-bad-nauheim.de/waermeversorgung/kalte-nahwaerme